Achtsamkeit:
Eine typische moderne Fehlsicht auf das Thema,
die Gründe und kurz zur ursprünglichen Bedeutung in den Quellen
Der zweite Teil einer Reihe zum Dachthema der Überschrift
Für den ersten Tel sowie die Einleitung zur Reihe siehe unter diesem Link.
Beitrag zwei – von „Dharma“ versus „Religion“)
Achtsamkeit:
Eine typische moderne Fehlsicht auf das Thema,
die Gründe und kurz zur ursprünglichen Bedeutung in den Quellen
Eine Analyse der Deutung von Professor Theodore Zeldin, Historiker an der Universität Oxford – „Achtsamkeit ist ein Tranquilizer“,
Gemäß dem Interview mit ihm in der „Wiener Zeitung“ (siehe unter diesem Link)
Der Inhalt der Analyse:
A) Eine indologische (speziell buddhismuskundliche) Bewertung der System-Sicht auf das Thema „Achtsamkeit“
B) Eine auf die Quellen gestützte Korrektur der System-Sicht auf die ursprüngliche, „buddhistische“ Achtsamkeit
C) Der Versuch, drei „Störenfriede“ des „Systems“ mit einer Klappe zu schlagen
A) Eine indologische (speziell buddhismuskundliche) Bewertung der System-Sicht
auf das Thema „Achtsamkeit“:
Einerseits eine teils berechtigte Kritik am westlichen „Achtsamkeits“-Boom, aber andererseits ein tief verfehltes Resümee der buddhistischen Ursprungstradition der „Achtsamkeit“!
Von Theodore Zeldin, einem bekanntem Historiker, Forscher und Autor.
1) Rüdiger Lenz (bekannt etwa für das „Nichtkampfprinzip“) kommentiert auf seiner Facebook-Seite das unten verlinkten Interview mit Theodore Zeldin in der „Wiener Zeitung“ folgendermaßen:
„Vor gut 15 Jahren erfand ich einen Begriff für das hier – Esoterror. Jetzt bestätigt dies einer, der es ähnlich sieht.“
Siehe auf der Seite von Rüdiger Lenz die große Diskussion dazu:
https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=10213289757937790&id=1212650513
2) Meine Antwort in dieser Diskussion – auf die Einschätzungen Theodore Zeldins:
Indologisch betrachtet stellt es sich so dar:
# Theodore Zeldin übt eine berechtigte Kritik an den modernen, letztlich systemdienlichen „Achtsamkeits“-Adaptionen.
# Aber der inhaltliche Blick auf die buddhistische Ursprungstradition des westlichen „Achtsamkeits“-Booms ist, wie meist der Fall, restlos verfehlt.
Es geht hier nicht um ein „Annehmen“ (Hinnehmen) des Leidens – ob des individuellen, zwischenmenschlichen, gesellschaftlichen oder internationalen.
Es geht hier vielmehr um das detaillierte Verstehen der konkreten Manifestationen sowie der Ursachen und Bedingungen des Leidens, der Möglichkeit der völligen Freiheit im Leben sowie des praktischen Weges zu deren Verwirklichung – durch ethische Motivation, geistige Ruhe und befreiende Einsichten in „Achtsamkeit“:
Die berühmten „Vier Edlen Wahrheiten“!
# Nirgendwo kommt in den autoritativen alten Quellen jene Gleichsetzung „Das Leben ist Leiden“!
Der historische Buddha hätte sich damit fundamental selbst widersprochen, weil es ihm um die Freiheit IM Leben geht.
Bei einer untrennbaren „Identität“ von Leben mit Leiden („Leben ist Leiden“) wäre diese Freiheit nicht möglich.
# Jener weitverbreitete Mythos ist eine gezielte judeo-christliche westliche „Verstellung“ der Praxislehre des historischen Buddhas (Erwachten).
# Die immer tiefer sehende „Achtsamkeit“ (sati) im frühbuddhistischen Ursprungskontext hat eine andere Bedeutung als in den systemdienlichen westlichen Adaptionen, die in der Tat von „Selbst“-Zirkularität, „Optimierungs“-Wahn bzw. „Glücks“-Fixierung charakterisiert sind:
Der Zweck jener uralten Praxis ist Freiheit und nicht „Glück“.
Dabei spielt unter anderem der weisheitsgespeiste „Gleichmut“ gegenüber den sich fortwährend wandelnden, bedingten Gefühlen eine zentrale Rolle; wie es im Grunde ja bereits jedes gute Buddha-Bild zum Ausdruck bringt.
Die höchste Freiheit gilt als ein gefühlsunabhängiger, unstörbarer Friede des tiefgehenden Verstehens des Wesens der Dinge.
B) Eine auf die Quellen gestützte Korrektur der System-Sicht
auf die ursprüngliche, „buddhistische“ Achtsamkeit:
Bei der Diskussion auf der Seite von Rüdiger Lenz kommen zum Teil sehr gute Kommentare.
1) Sybille Born schreibt mit Blick auf jenes Interview mit Zeldin zum Beispiel (für ihren vollen Kommentar siehe dort):
„… Achtsamkeit und Meditation zu lernen und zu praktizieren bedeutet nicht, das buddhistische Mönchsleben zu adaptieren, sich nur noch mit sich selbst zu beschäftigen und das weltliche Leben zu vergessen. …“
2) Meine Antwort auf sie:
Theodore Zeldin argumentiert judeo-christlich-westlich-typisch, wenn er die „andere“ Achtsamkeit des frühbuddhistischen Kontextes indirekt einer mönchischen Praxis zuordnet.
Dies tut er mit:
Einer eindeutig negativen Sicht auf die Welt per „Leiden an(hin)nehmen“, „Verzicht“ und „sich dem weltlichen Leben entziehen“.
Gemäß den alten Quellen ist jene „befreiende“ Achtsamkeit im alten Indien breit von den gewöhnlichen Menschen praktiziert worden – auch mit den höchsten Ergebnissen.
In der Praxislehre des Buddhas hat „sich der Welt entziehen“ vor allem eine „innere“ Bedeutung:
Das „Nichtsehen“ der Fixierungen bzw. das „Ergreifen“ des „Ich und mein“-Bewusstseins im Alltag sowie dessen „Ableger“ der „inneren Zwänge“, etwa Gier, Hass, Stolz, Eigendünkel, Neid, Geiz usw., „achtsam“ aufspüren und lassen.
In den grundlegenden Reden des Buddhas zum Thema Achtsamkeit ist etwa eine hohe Konzentration, wie sie in der Abgeschiedenheit erreicht werden kann, keine Voraussetzung für die entscheidenden Einsichten.
Die meisten Phänomene, die in jenen Reden erwähnt werden, sind ganz gewöhnliche bzw. alltägliche Geisteszustände, die gewissermaßen zum Nährboden der Befreiung werden.
Diese Praxislehre gezielt irreführend den „Mönchen“ zuzuordnen, verbannt sie gleichsam in ein „schönes Reservat“, wo sie dem „System“ nicht gefährlich werden kann.
Dies machen die meisten westlichen Interpreten, weil sie selbst ein Teil dieses „Systems“ sind.
Auch das „Selbstdenken“, kritische Untersuchen und unabhängige Prüfen spielt eine zentrale Rolle bei jenem inneren Befreiungsprozess –
und zwar laut dem historischen Buddha!
C) Der Versuch, drei „Störenfriede“ des „Systems“
mit einer Klappe zu schlagen:
Noch ein anderer Aspekt:
Theodore Zeldin möchte im Interview drei „Störenfriede“ des „Systems“ mit einer Klappe schlagen.
Dieses Vorgehen ist charakteristisch für einen gewissen „dienstbaren“ intellektuellen und akademischen Blick auf das ganze Thema „Achtsamkeit“:
1) Einerseits rückt Zeldin alle (!) westlichen „Achtsamkeits“-Adaptionen mit einer berechtigten Kritik an bloß (!) bestimmten Formen in eine „problematische Ecke“.
Aber es ist eine sehr vielfältige Bewegung, die sich nicht in dieser Weise „pauschalisieren“ lässt.
2) Außerdem lässt Zeldin die große frühbuddhistische „Vipassana“-Bewegung im Westen, die primär eine Bewegung von Nicht-Ordinierten ist – und die eigentliche Quelle des westlichen „Achtsamkeits“-Booms bildet – völlig außer Acht!
3) Generell bekannt ist jedoch, dass die „Achtsamkeit“ im Buddhismus verwurzelt ist.
Also spricht er dies auch an, steckt aber die ursprüngliche Achtsamkeit sogleich in jenes oben resümierte „schöne Reservat“ der „Mönche“.
Denn dort kann sie dem „System“ nicht gefährlich werden; und dort wirkt sie unattraktiv für die meisten.
Damit „rät“ Zeldin also den Lesern indirekt davon „ab“, sich näher mit dieser Quelle zu befassen.
Diesen ganzen Dreh leistet er mit grundlegend inkorrekten Aussagen zur Praxislehre des Buddhas (siehe dazu die erste Kritik oben)!
PS) Eine gemäß der Vorgabe auf 15 000 Zeichen gekürzte Fassung meiner ersten Kritik oben steht auch im Kommentarteil zum Artikel in der „Wiener Zeitung“.
Respekt, dass diese Zeitung eine solche Kritik gebracht hat.
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